Wald in Not

Wanderbares Deutchland: Der schlechte Zustand des Waldes ist weithin sichtbar und bereitet inzwischen auch einer breiten Öffentlichkeit Sorgen. Ist das berechtigt?

Theo Arend:  Durchaus! Ich mache meine Arbeit seit über 35 Jahren und da gab es immer dieses Muster: ein Jahr Sturm, im Folgejahr der Borkenkäfer, dann war wieder Ruhe. Jetzt traten beide Phänomene erstmal in den Folgejahren 2018 und 2019 gleichzeitig auf. Das sind für uns völlig neue Herausforderungen, die mir auch einige schlaflose Nächte bereiteten. Freilich, es ist alles relativ. Wir sind im Bundesland Hessen die einzigen, die International Consulting betreiben. Erst vor kurzem war die Umweltministerin der Philippinen zu Gast und wollte alles über Aufforstung wissen. Ich fragte, was sie auf den Philippinen mit Aufforstung anstellen will. Sie antwortete, dass sie in der kommenden Woche vor den Vereinten Nationen in New York über den Klimawandel spricht, und dass die Philippinen in 50 Jahren mehr als die Hälfte der besiedelten Fläche durch den steigenden Meeresspiegel verlieren werden. Das hat mich komplett umgehauen und für einen Moment dachte ich: Und ich war der Meinung, wir hätten bei uns große Probleme...

 

Aber die sind doch unübersehbar?

Klar, besonders in Deutschlands Mitte. Bei Ihnen in Bayern ist das nicht so gravierend. Auf einer Fahrt zurück von Tirol fielen mir erst ab Fulda die massiven Schäden auf. Wenn man genauer hinschaut, sieht man auch die Schäden der Miniermotten an den Kastanien und lernt die Dynamik der Fraßgesellschaften im Wald kennen. Das klingt jetzt lustig, ist aber ein wissenschaftlicher Begriff, der dann noch einmal unter Produzenten, Konsumenten und Destruenten unterscheidet, je nachdem, was die Tierchen mit der Waldsubstanz anstellen. Daher wusste man schon lange, das die Fichte in 50 Jahren hops geht. Dass dies jetzt teilweise nach fünf Jahren schon der Fall ist, hat uns überrascht.

 

Ist die Fichte der einzige Problembaum?

Leider nein. Umgehauen hat uns auch, was mit der Buche passiert. Das ist ja der deutsche Baum im fetten ökologischen Optimum. Seit Jahrtausenden ist die Buche besiedelt von etwa 20 Antagonisten, beispielsweise Pilzen, die nie eine Rolle gespielt haben. Nun sorgt die Trockenheit dafür, dass diese Antagonisten massive Buchen in einem Jahr platt machen. Während eine vertrocknete Eiche noch zwanzig Jahre munter in der Landschaft steht, bricht eine Buche, der sie von außen nichts ansehen, nach einem Jahr spektakulär auseinander.

 

Stichwort Wegesicherung. Können Sie sich vorstellen, was das für den Forst heißt?

Wir sind gerade etwas fassungslos. Ein paar Schritte vom Weg entfernt donnert ein beindicker Ast runter, der mit etwas Pech einen Menschen erschlagen hätte. Von außen absolut gesund, von innen rotzefaul mit schwarzen Röhren. Da bin ich heilfroh, dass wir über den Wanderverband viele Menschen erreichen. Aber Sie hatten ja Fragen vorbereitet. Lassen Sie mal hören.

 

Was können die Nutzer des Waldes wie die Wanderer in dieser Krisensituation beitragen?

Im Sinne von Mitmachen eher nichts. Im Sinne von Kants kategorischem Imperativ sehr viel: Verständnis und Rücksichtnahme. Spenden sind auch immer gut. Wege und Wälder können gesperrt sein, immer auf den Wegen bleiben, Hunde bitte an die Leine, damit Rehe nicht versprengt werden. Nun ja, mit den Jägern müssen wir uns auch konstruktiv auseinandersetzen. Sie glauben nicht, was ein einziges Reh im Winter an Knospen wegfrisst. Einen guten Mischwald kriegen Sie nur mit einer konsequenten Bejagung aus den Kinderschuhen. Das liegt an der unterschiedlichen Geschwindigkeit des Wachstums. Esche und Ahorn sind schon nach einem Jahr sicher, eine Weißtanne muss die ersten Jahre aufwändig vor Verbiss geschützt werden. Im Grunde genommen gehört es für alle Wanderer und Mountainbiker zur Grundverpflichtung sich über Natur und Wald kundig zu machen.

 

Nicht alle Bundesländer sind gleichermaßen betroffen. Wie sieht es mit der Solidarität der Forstbetriebe aus?

Für den Schadensausgleich gibt es ja eine gesetzliche Grundlage auf Bundesebene und die Forste der Bundesländer agieren da sehr solidarisch. Da wir alle die Marktsituation sehr gut kennen, sind wir auch da auf einer Linie.

 

Die Sorge der Deutschen um ihren Wald war sogar Thema eines Leitartikels in der New York Times. Was hat es denn damit auf sich?

(Arend acht)... Herrlich, Rudolf Prack und Sonja Ziemann im „Förster vom Silberwald“ gemeinsam im DKW „Munga“, „Forsthaus Falkenau“ und und und. Diese grundsätzlich positive Stimmung der deutschen in Bezug auf den Wald sehen wir natürlich gern. Die ist mit ein Grund, dass wir Deutschen die weltweit beste Forstwissenschaft haben. Und dann, jetzt muss ich mich bremsen, bin ich schon angefasst, wenn jemand ohne Ahnung von Forstwissenschaft argumentiert, wir vom Forst hätten nur Dollarzeichen im Gesicht. Da sage ich nur: Danke, für mich brauchen sie keinen Baum fällen. Ich kaufe meine Möbel bei Ikea. Und der Strom kommt aus der Steckdose. Ganz klar, wir betreiben Holzwirtschaft. Jeder Deutsche benötigt umgerechnet pro Jahr einen Festmeter Holz, das sind für Deutschland über 80 Millionen Festmeter. Aus eigener Kraft schaffen wir bis zu 65 Millionen Festmeter, müssen also noch über 20 Millionen importieren. In der Holzwirtschaft sind eine Million Arbeiter beschäftigt. Viele holen sich ihr Holz dann aus Russland, Georgien oder Bulgarien, das dann angeblich zertifiziert sein soll. Aber Hauptsache, vor der eigenen Haustüre herrscht Stille! Das ist verlogen und macht mich wütend. Was wir in den letzten dreißig Jahren geleistet haben, während woanders dramatische Entwicklungen wie das Bienensterben zu beobachten sind, davon redet niemand. Wir haben wieder den Uhu, den Kolkraben, den Schwarzspecht, der Wald wurde verjüngt.

 

Was sind denn die vorrangigen Ziele der nächsten Jahre?

Die letzte Eiszeit hat uns ja quasi gezehntet. Auf anderen Kontinenten stehen Bäume in den Waldregionen, die bei uns schon lange ausgestorben sind. Wir müssen also ganz gezielt mit neuen Baumarten arbeiten. Wir müssen über die Douglasie reden, über die Roteiche, die Eiche, die europäische Lärche, die Tanne vor allem in Mitteldeutschland, der Spitzahorn, die Flatterulme. Da brauchen wir Erkenntnisse, mehr Experimente, mehr Wissenschaft für die großen Schadflächen. Das ist auch ein Generationenauftrag. Es treibt mich um, was unsere Generation vergeigt hat.

 

Was genau meinen Sie?

Na, vom Atommüll bis zum Plastik in den Meeren.

 

Ist das selbstverständliche Betretungsrecht des Waldes noch zeitgemäß?

Da sprechen Sie ein Thema an, das mich umtreibt. Ich liebe die Wälder der USA, aber wenn Sie in Montana aus dem Auto steigen und in den Wald gehen, kommt nach zehn Minuten der Ranger mit dem Pickup und einem Gewehr auf dem Armaturenbrett und holt Sie aus dem Wald. Wir leben hier in einer unglaublichen Freiheit, die wir meist nicht zu schätzen wissen. Freiheit zu bekommen ist das Allerhöchste, Freiheit zu haben zählt nichts. Was für eine erbärmliche Erkenntnis dieser Tage.

 

Kommt die Waldmaut?

Nein, natürlich nicht. Das wollen wir nicht, aber wir wollen aber ein besseres Bewusstsein für den Wald.

 

Also mehr Bildungsmaßnahmen?

Ja, prinzipiell ist das gut, aber das machen inzwischen so viele, dass fast schon ein Verdrängungswettbewerb um die Teilnehmer entsteht.

 

Wie wird sich das Gesicht unserer Landschaft verändern durch den Wald?

Jetzt sind wir bei einem spannenden Thema. Die Landschaft verändert sich permanent. Aber man bemerkt es nur in Langzeit-Fotodokumentationen über mehrere Jahrzehnte. Nach Kyrill sah es in Hessen ganz anders aus als jetzt. Der Herr Meister vom Nationalpark Berchtesgaden hat genau das über 30 Jahre hinweg getan. Immer wieder hat er vom selben Standort, am selben Tag den selben Ausschnitt fotografiert. Das Ergebnis ist fantastisch. Die meisten privaten Waldbesitzer sind da sehr verantwortungsvoll und pflegen ihren Waldbestand über das Verständnis des Generationenvertrags. Also, wie muss ich handeln, dass im Rahmen aller landschaftlichen Einflüsse und Veränderungen mein Wald so prosperiert, dass ich ihn wie von meinen Vorvätern erhalten möglichst intakt an die nächste Generation übergeben kann. Das ist nicht einfach, weil beispielsweise die Eiche nicht mehr so fruktifiziert, also  Samen ausbildet so wie früher und deswegen auch weniger Saatgut liefert. Daher heißt der Königsweg Waldverjüngung. Das, was funktioniert, pflegen und nicht umkrempeln. Klar wir experimentieren auch mit der Atlaszeder, aber wie ändert sich denn das Klima auf lange Sicht? Was jetzt logisch und sinnvoll erscheint, gilt das noch in zehn Jahren? Wir können ja nicht alle paar Jahre unsere Strategie ändern angesichts der Lebenszyklen des Waldes. Daher sind auch die zunehmenden Verteilungsextreme von Regen und Trockenheit so schwer aufzufangen.

 

Womit wir beim Klimawandel wären...

... ja, ein dringliches Thema. Wir müssen unbedingt runterfahren mit unserem Konsum, aber das ist jetzt nicht waldspezifisch.

 

Was kommt denn auf den Wanderverband zu?

Die Wegemarkierer und Wanderführer sind sehr gefordert. Da werden wir intensiv kommunizieren und schulen müssen, damit die Wegesicherung wie bisher funktionieren kann. Grade randständige Buchen im Bereich der Wege müssen sicherlich nachmarkiert und geprüft werden. Da haben wir am 3. Juli und am 23./24. Oktober große Fachwartetagungen, bei denen ich auf viele kreative Ideen und rege Mitarbeit hoffe. Der Deutsche Wanderverband ist ja ein anerkannter Naturschutzverband und muss sich dann entscheiden wie er sich diesbezüglich räuspern will.

 

Herr Arend, vielen Dank für das Gespräch.

 

Theo Arend ist seit 35 Jahren von Beruf Förster und hat vom „sauren Regen“ bis zur Sturmprominenz wie Wiebke, Lothar oder Kyrill alle Dramen um den deutschen Wald aus der Expertenperspektive verfolgt. Seine Erkenntnis: Die Entwicklungen der letzten Jahre unterscheiden sich dramatisch von allem, was er bislang erlebt hat.